Vom Spiel der Emotionen und ihrem Tanz in der Veränderung
Emotionen begleiten uns täglich und spielen eine entscheidende Rolle in unserem Leben. In diesem Artikel werfen wir gemeinsam einen Blick darauf, wie sie entstehen, welche Rolle sie in unserem Denken und Fühlen spielen und wie sie sich in Veränderungsprozessen manifestieren.
Gefühle und Emotionen im Fokus
Gefühle und Emotionen sind allgegenwärtig, beeinflussen unser Verhalten und prägen unsere Erfahrungen. Doch was genau sind Emotionen?
Fragt man wissenschaftliche Fachpersonen aus der Psychologie, so lautet die Antwort zum Beispiel wie folgt: „Eine Emotion ist ein komplexes Muster von Veränderungen; es umfasst die physiologische Erregung, Gefühle, kognitive Prozesse (Bewertungen) und Verhaltensreaktionen auf eine Situation, die als persönlich bedeutsam wahrgenommen wurde“ (Gerrig und Zimbardo, 2008).
Ich bin Psychologin und habe also viele wissenschaftliche Erkenntnisse und Äußerungen dieser Art gelesen und bin darin geschult, sie greifbar zu machen und mit Leben zu füllen. Und dies versuche ich auch in diesem Artikel.
Komplexe Muster: Emotionen in ihrem Facettenreichtum
Emotionen sind also komplexe Muster von Veränderungen. Jede:r von uns erlebt sie täglich, doch sie sind veränderlich und von vielen Faktoren abhängig. Dazu passt es gut, dass die Psychologie Emotionen als etwas Ganzheitliches beschreibt und Gefühle als einen Teil davon betrachtet. Und dazu passt der Satz, mit dem ich in der Arbeit mit Menschen immer wieder dafür werbe, die Sorge vor dem Blick auf die Gefühlswelt ziehen zu lassen: Gefühle sind nicht gut oder schlecht. Gefühle sind. Sie machen unser Menschsein im Kern aus und wenn wir sie annehmen, dann sind sie auch nicht gefährlich.
Das Körper-Gefühl: Die Rolle von Emotionen im Körper
Zu den Emotionen gehören Körperreaktionen. Ich selbst kenne gut, dass mein Körper mir anzeigt, wie ich gestimmt bin – meistens weiß er es noch vor mir. Da ist das Lächeln, das mir bei einer Aussage einer guten Freundin über das Gesicht huscht, weil ich mich darüber freue, das wippende Knie, das von meiner Nervosität vor einem Termin erzählt, von dem viel für mich abhängt, meine hängenden Schultern, wenn etwas, auf das ich mit Spannung gewartet hatte, doch nicht eintritt oder die weit aufgerissenen Augen, wenn ein Auto aus einer Parklücke kommt, welches ich dort nicht erwartet hatte.
Diese Reaktionen steuere ich nicht bewusst. Denn, was da passiert, das regelt mein Gehirn blitzschnell mit vollem Einsatz der Gehirnregionen, die für diese automatisierten Prozesse zuständig sind. Das geht zielsicher an jenen Regionen vorbei, aus denen eine bewusste Steuerung in meinen Körper geschickt werden könnte. Dreh- und Angelpunkt ist das Limbische System, das Schaltzentrum, welches die Informationen aus der Außenwelt analysiert und bewertet: ist das, was da über das Auge, das Ohr oder die Nase ankommt z.B. etwas Angenehmes oder Bedrohliches, etwas Bekanntes oder etwas Neues?
Diese Bewertungsprozesse wiederholen sich in uns ständig. Sie sind eng verknüpft mit den Bedürfnissen, die uns Menschen ausmachen und die Erwartungen, die wir in uns tragen.
Denken und Fühlen – ein gutes Team
Wenn etwas geschieht, sorgt die Art, wie wir darüber Denken ziemlich zuverlässig dafür, was wir dazu fühlen – und andersherum. Nehmen wir an, ich habe mir bei dem Weihnachtsgeschenk für ein liebes Familienmitglied ganz besonders viel Mühe gegeben. In der Vorbereitung stecken viele Stunden liebevolle Bastelei an einem Fotobuch, bei dem das Programm in der Bearbeitung mehrfach abgestürzt war oder ich bin super glücklich, dass ich im privaten Verkauf noch DIE Konzertkarten ergattert habe.
Bei der Bescherung erlebe ich nun etwas, das mich sofort in eine entsprechende Emotion befördert. Geht das Fotobuch in einer Masse von Geschenken unter und erfährt kein direktes Verhalten des Beschenkten, kann ich darüber je nach meiner inneren Erwartung unterschiedlich darauf reagieren: hatte ich mir sehr gewünscht, dass sich der Beschenkte deutlich freut, dies durch Dankbarkeit ausdrückt und durch sein Verhalten meinen Bedürfnissen nach Anerkennung und Verbundenheit entspricht, dann werde ich dieses Erlebnis als unangenehm bewerten. Es werden sich Gefühle wie Verletztheit, Traurigkeit, vielleicht Beschämung einstellen, weil ich mich getäuscht habe. Ich werde mich entsprechend verhalten. Wie sehr ich mein Verhalten steuern kann, hängt davon ab, wie gut meine Grundbedürfnisse gedeckt sind und wieviel Energie ich für das Regulieren meiner Gefühle zur Verfügung habe.
Sind meine inneren Grundbedürfnisse gut gedeckt, bin ich also entspannt und habe einen guten Puffer zur Regulation. War meine Erwartung an diesen Moment des Schenkens weniger aufgeladen, dann werte ich das Erlebnis als weniger schlimm. Es scheint meinem limbischen System nicht bedrohlich für meinen Selbstwert und wird daher möglicherweise als gar nicht unangenehm bewertet. Ich werde mich entsprechend verhalten – vielleicht werde ich milde lächeln, vielleicht nehme ich es gar nicht wahr. Denn wie wir gelesen haben: Gefühle stellen sich dann ein, wenn eine Situation als für mich wichtig und bedeutsam ist.
Welche Gefühle auftreten, wird also durch ihre Einflussfaktoren bestimmt, mit denen sie eng verknüpft sind. Wie sie sich zeigen, wann welches Gefühl in den Vordergrund tritt und welche Eigenschaften sie haben, das haben Udo Baer und Gabriele Frick-Baer eindrücklich in ihrem Buch „Das Abc der Gefühle“ gezeigt. Dort verfassten sie 12 Regeln, nach denen sich Gefühle im Regelfall verhalten. Um mit ihnen einen guten Umgang zu finden
Zwei möchte ich gern genauer in den Blick nehmen:
Spielregeln der Gefühle: Maß und Resonanz
Gefühle sind maßlos.
Wie intensiv wir Menschen Gefühle wahrnehmen, ist subjektiv. Es hängt von unseren Vorerfahrungen und einer Menge anderen Eigenschaften ab, die uns als Person ausmachen. Dabei sind ihnen die Erwartung der Außenwelt und die sozialen Normen egal. Zwischen Innen und Außen dann eine Balance zu finden, das ist eine Aufgabe, die uns Menschen oft ganz schön herausfordert. Es kann passieren, dass ich in der U-Bahn ein Lied höre, das mich an die beste Zeit meines Auslandsaufenthaltes erinnert – in mir wird die sprudelnde Freude der Erinnerung an die damalige Freiheit geweckt und ich würde am liebsten durch die Bahn tanzen. Da unsere sozialen Regeln aber etwas anderes für mein Verhalten vorsehen und ich zugleich jemand bin, der die Spielregeln des Miteinanders gerne beachtet, werde ich meinem Impuls nicht einfach nachgeben.
Wer schon einmal einen Gefühlsausbruch (mit-)erlebt hat, der:die weiß, dass Gefühle sich manchmal mit voller Wucht ihren eigenen Weg an die sichtbare Oberfläche bahnen – ob wir wollen oder nicht. Ich nutze in meiner Arbeit dafür häufig das Beispiel mit dem Wasserball. Wenn ich ihn unter die Wasseroberfläche drücke, dann sieht es zunächst mal so aus, als wäre er nicht mehr da. Für ein Gefühl, das ich nicht spüren möchte: ein toller Erfolg. Doch was ist nun, wenn meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt wird? Je tiefer ich ihn heruntergedrückt habe, desto stärker wird er an die Oberfläche streben und wenn ich nicht mehr alle Kraft dafür aufwenden kann, springt er womöglich mit vielen Spritzern und unkontrolliert unter mir hervor. Sehr präsent, alle können ihn sehen und vielleicht erwischt er sogar mit Wucht jemanden, der eigentlich ganz entspannt schwimmen wollte. Mit den Gefühlen ist das ähnlich.
Wollen wir sie partout kontrollieren, entwickeln sie eine ungeheure Kraft und eine eigene Dynamik. Lassen wir sie sein und finden einen guten Weg, ihnen Ausdruck zu verleihen, dann werden sie zahm und auch wenn sie an der Oberfläche sichtbar sind, werden sie niemandem unkontrolliert gefährlich. Wir können friedlich mit ihnen sein, und wir können sie gut und behutsam in unserer Nähe regulieren, beinahe ohne Anstrengung.
Gefühle brauchen keinen Grund, allenfalls Anlässe.
Häufig nehmen wir Gefühle bei uns oder bei anderen Menschen wahr, für die wir keine direkte Erklärung finden. Manchmal können ganz unerwartet Anlässe dafür sorgen, dass sich Gefühle einstellen: ein Geruch, eine bestimmte Körperhaltung, eine beiläufige Bemerkung, ein Gefühl auf der Haut. Unser limbisches System arbeitet mit dem Moment seiner Entstehung für uns an einer Art inneren lebendigen Bibliothek, in der Erlebnisse mit Gefühlen fest verbunden wurden und sicher und zuverlässig abgelegt sind. Nun wartet der Inhalt dieser Bibliothek aber nicht darauf, mit einem bestimmten Auftrag bewusst angesteuert zu werden. Sondern, wenn das System durch einen Reiz im Hier und Heute an etwas ähnliches erinnert wird, macht sich das Muster aus der Bibliothek selbstständig auf den Weg zum Tresen und zeigt sich. Manchmal leise, elegant und zaghaft. Manchmal mit einer Wucht, die uns selbst überrascht. Dann entstehen bei allen Beteiligten Fragezeichen.
Nicht selten nehmen Menschen diese Gefühle, die sich nicht vornehm durch einen Grund erklären, bei sich und bei anderen nicht ernst. Häufig ist die Reaktion, diese Erinnerungen „weghaben“ zu wollen. Besonders bedeutsam ist das im Umgang mit Kindern, die für eine gesunde Entwicklung so sehr darauf angewiesen sind, in ihrem Gefühlserleben ernst genommen und begleitet zu werden. Geschieht diese Resonanzlosigkeit bei Erwachsenen, werden diese auf gut gelernte Coping-Muster zurückgreifen. Das Gefühl der Scham, das entsteht, wenn wir für unsere Gefühle keine Resonanz erfahren, wird dafür sorgen, dass wir alles daransetzen, dass Gefühle nicht mehr zum Ausdruck kommen. Und wenn es keinen Ausdruck mehr geben darf, wächst der Innendruck. Was dann passiert, haben wir beim Wasserball gesehen.
Gefühle in der Veränderung
Ein typischer Anlass für die unterschiedlichsten Gefühle sind Übergänge und Veränderungen. Da zeigen sich Ärger und Traurigkeit im Verabschieden des Alten, Müdigkeit, Trotz und manchmal Wut im Prozess des Loslassens. Dann ein Zwischenraum. Leere, Verlorensein, Sorge oder wohltuende Ruhe? Wenn ich mit mir in Kontakt bin, kann ich mich aus dem Inneren heraus neu ausrichten. Im schönsten Fall habe ich eine Offenheit für Überraschung, Interesse, Sehnsucht, die mich nach vorne gehen lässt. Häufig beobachte ich dabei einen Tanz von Angst und Zuversicht. Meine Hoffnung spielt in den meisten Fällen tragende Musik dafür. In diesem Zusammenspiel entwickelt sich Mut. Bei einem von mir entschiedenen Neubeginn baue ich genau darauf und das Gefühl, dass ich es schaffen kann.
Wie wir mit all diesen Gefühlen einen guten Umgang finden, sie als wohlgesonnene Begleitende und treibende Kräfte verstehen und sie als Kernelemente von Veränderungsprozessen nutzen lernen, darüber sprechen wir gerne an anderer Stelle.
Für diesen Moment möchte ich das Staunen sprechen lassen:.
„Ich brauche etwas, was mich lebendig werden lässt. Einen Sonnenaufgang oder das Lächeln eines Kindes. Der Anlass, der mich auf den Plan ruft, ist bei den verschiedenen Menschen unterschiedlich. Gemeinsam ist die innere Haltung eines Menschen, die ich brauche, um als Staunen aufzutreten: eine Haltung der Achtsamkeit und Offenheit. Meine Grundlage und Voraussetzung ist ein achtsames Interesse. Wer etwas nicht wahrnimmt, kann mich auch nicht erleben. Und die Offenheit ist entscheidend: Wenn jemand staunt, dann nimmt er etwas in sich hinein. Der staunende Mensch gibt sich dem Sonnenuntergang hin und nimmt ihn gleichzeitig in sich auf.
Das ist auch der Sinn, warum es mich gibt. Ich bin dazu da, Wundersames aufzunehmen. Ohne mich gibt es keine Verwunderung und keine Wunder. Angst habe ich vor der Überfütterung der Menschen. Wenn alles immer schneller, besser, höher gehen soll, gibt es für mich keinen Platz mehr.
Doch ich gebe nicht auf. Alle Kinder kommen als Staunende zur Welt und viele behalten diese Fähigkeit bei. Auch Erwachsene, die das Staunen verlernt haben, können es wieder erlernen. Darauf setze und vertraue ich.“
Euch allen eine schöne Weihnachts- und Übergangszeit!
Quellen
Baer, U., Frick-Baer, G. (2022). Das Abc der Gefühle. Beltz
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